Judith
Ich lebe nun seit einer Woche zusammen mit Laura, einer Freundin und Arbeitskollegin, in Bethlehem im Westjordanland. Unsere Wohnung ist groß und wir haben wirklich viel Spaß – im (einzigen und) beliebten DVD-Geschäft werden Filme vor unseren Augen gebrannt, frisches Obst und Gemüse ist billig, das Fitnessstudio ein Treffpunkt für die aufgeschlossenen arabischen Frauen und die zahlreichen Schischalokale tragen zur entspannten Atmosphäre in der Altstadt bei. Da ich routiniert jeden Tag mit dem Fahrrad durch den Checkpoint nach Jerusalem, Israel zur Arbeit fahre, habe ich mittlerweile keine Angst mehr vor den Maschinengewehren (anfangs waren sie schon ... respekteinflößend) und die Soldaten kennen mich und winken mich durch.
An den letzten Wochenenden bin ich viel gereist – einige Impressionen:


Ich habe hier gute Freunde unter palästinensischen Jugendlichen gefunden – wir waren zusammen in Jericho grillen und radfahren und wir Mädchen treffen uns regelmäßig beim Sporteln, gehen danach etwas essen.
Es ist sehr interessant, die Unterschiede zwischen unseren Kulturen hautnah zu erleben. Zum arabischen „Dating" erzählte mir eine Freundin, dass ein Junge und ein Mädchen vor ihrer offiziellen Verlobung nicht allein gesehen werden dürfen. Auch sei die Kontrolle des Blutflecks auf dem Leintuch in der Hochzeitsnacht in vielen Dörfern immer noch verbreitet. Dieselbe Freundin wünscht, sie könne wie ich in Bethlehem radfahren, aber es ziemt sich kulturell nicht für arabische Frauen. Gestern meinte sie entschlossen zu mir: „ Da du nun anfängst, unsere Kultur hier in Bethlehem etwas zu beeinflussen, werde ich im Sommer eine Gruppe motivieren und von Bethlehem zum Toten Meer quer durch die palästinensischen Dörfer joggen und alle damit herausfordern.“ :)

Die Menschen hier sind trotz der schwierigen Situation sehr aufgeschlossen und freundlich - nur, wenn es um politische Themen geht, scheiden sich die Geister: Als ein Freund nebenbei erwähnte, er arbeite in den israelischen illegalen Siedlungen als Handwerker, brach die ganze Gruppe in Protestgeschrei aus und ließ auch das Argument, es wäre "gutes Geld", nicht gelten. Wenn wir über unsere Arbeit bei Musalaha sprechen, wird unseren Freunden schmerzhaft bewusst, dass sie hier im Westjordanland eingesperrt sind und nicht nach Israel dürfen. Den Satz "Ich würde soooo gerne im Mittelmeer baden gehen!" höre ich sehr oft.

Noch kurz zu meiner Arbeit: "Steh auf, speak out loud!!!"
Salim Munayer (mein Chef) sprach gestern über folgendes:
Er erzählte die Geschichte der Jüdin Esther, der Frau des persischen Königs. Sie hatte ein prunkvolles Leben – schöne Kleider, einen Palast ... Als der Bescheid kam, alle Juden im Land würden hingerichtet werden, forderte ihr Onkel Mordechai sie auf, unerlaubterweise zum König zu gehen und ihr Leben für ihr Volk zu riskieren. Als sie zögerte, sandte er ihr eine Nachricht: "Glaub nur nicht, dass du als einzige Jüdin mit dem Leben davonkommst, nur weil du im Königspalast wohnst! Wenn du jetzt nichts unternimmst, wird von anderswoher Hilfe für die Juden kommen, du aber und deine Familie - ihr werdet sterben!“ (Esther 4,12-14)
Wenn wir uns über wichtige Themen ausschweigen, gehen wir mit unter.
Als zweites Beispiel gab er Martin Niemöller, den Theologen und Aktivisten der „Bekennenden Kirche“ während des Zweiten Weltkriegs.
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
مع السلامة

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