Judith
Nicht nur anlässlich des gestrigen Bombenanschlages auf den Bus der Nummer 174 um 15 Uhr, in dem ich um 14 Uhr saß, schreibe ich einen neuen Blogeintrag ... LINK Presse

Eine kleine Geschichte, die ich in die Schublade „Begegnungen“ einordne, zu Beginn:
Sonntags traf ich einen Mann Ende sechzig in dem kleinen Souvenirgeschäft neben der Geburtskirche in Bethlehem. Eifrig zeigte er mir seine Sammlung von Graffitidarstellungen auf der 760 km langen Mauer, die das Westjordanland von Israel trennt und erzählte mir von deren Künstlern.
„Bevor die Mauer stand, fuhr ich drei mal wöchentlich nach Jerusalem und traf meine Freunde. Jetzt schaffe ich es nicht einmal jährlich – ich habe keine Erlaubnis. Ich vermisse sie.“
Ich erzählte ihm von meiner Arbeit bei dem Versöhnungsdienst Musalaha. Mit Tränen in den Augen meinte er: „Ich will auch nur Frieden. Wieso können wir nicht in Frieden miteinander leben?“
Er wollte mir etwas zeigen ...
Vorsichtig holte er ein geschnitztes Kunstwerk aus der Schreibtischschublade heraus und gab es mir. Ich war sofort sehr berührt. Ich sah eine Krippe und die drei Weisen aus dem Morgenland – getrennt von einer riesigen, hässlichen Mauer. Die drei Männer hielten ihre Arme hoch, verzweifelt versuchend, die Mauer zu überwinden, um zu Jesus, Maria und Josef zu gelangen. Dann erst sah ich die Taube.
„Die Friedenstaube auf der Mauer fliegt verwirrt herum, yacni (weißt du) ...“, sagte er – meinen Blick deutend.
„Wäre die Mauer vor 2 000 Jahren schon gewesen, hätten wir einen anderen Geschichtsverlauf.“ Mit immer noch feuchten Augen drückte er meine Hand. „God bless you.“


Friedenstaube (Graffiti auf der Mauer nahe meiner Wohnung)
Friedliche Demonstration in Bethlehem

Nach der sechstündigen Wanderung bei über 30 Grad Celsius nach Jericho am Samstag, legte ich vorgestern einen Entspannungstag ein. Ich spazierte zum Manger Square im Zentrum Bethlehems – zur rechten Zeit, um eine friedliche Demonstration der Palästinenser mitzuerleben. Seit einigen Tagen schon fordern sie täglich Einheit von Hamas im Gazastreifen und Fatah im Westjordanland, um dann „gemeinsam als David gegen den Riesen Goliath (Synonym für Israel) kämpfen zu können“ (sagte einer der Demonstranten).
Die momentane Situation in
Bethlehem und anderen Orten (wie zum Beispiel Hebron) ist spannungsgeladen – als würde auf etwas gewartet werden. Im Internet habe ich eine Facebook Gruppe mit über 200 000 Mitgliedern gefunden, die kontinuierlich die Dritte Intifada am israelischen Unabhängigkeitstag am 15. Mai propagiert.

Mit dem gestrigen Terroranschlag in Jerusalem, den kontinuierlichen Raketen auf den Süden Israels (Beersheba, Wüste Negev) und den israelischen (Luft-)Angriffen in Gaza droht die Situation zu eskalieren.
Die Menschen hier sind unruhig, wissen nicht, was zu erwarten ist; kommendes Monat haben wir (Musalaha) ein Versöhnungscamp für junge Israelis und Palästinenser in der Wüste Negev geplant - wir hoffen, es kann stattfinden.
Unserer Meinung und meinen Erfahrungen nach ist die Mehrheit der Palästinenser sowie Israelis wirklich friedlich - und friedliebend! Ich finde es traurig, dass sich durch solche Ereignisse wie gestern die Kluft zwischen den Nationen ausweitet - Friede wieder einen Schritt weiter entfernt scheint, Vorurteile der internationalen Gemeinschaft sich leider bestätigen.
Es ist wirklich wichtig, die jeweiligen Einwohner als Individuen zu sehen - mir persönlich bricht es das Herz, wenn ich nun die Trauer in den Gesichtern meiner palästinensischen Freunde sehen muss. "Nun hasst uns die Welt wieder ..."

Trotz dieser etwas herausfordernden Gesamtsituation, geht es mir wirklich hervorragend :) Laura (die Freundin, mit der ich zusammen wohne) und ich haben Anschluss an eine lustige Gruppe in Bethlehem gefunden, mit der wir momentan eigentlich immer unterwegs sind – egal ob Fitnessstudio, Schischabar, Konzert, Wanderungen, BBQ, ...
Mein Umzug nach Bethlehem war die beste Idee! Ich genieße das Leben dort und lerne die arabische Kultur kennen und lieben (wohl auch durch meine arabischen Freunde) :) Viele liebe Grüße in die Heimat!

Wandern in der Wüste im Westjordanland


MEHR LESEN: POLITISCHE DENKANSTÖßE-PDF (basierend auf persönlichen Erfahrungen der letzten zwei Monate)

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