Judith
Weingärten, sanfte Hügel und hübsche Blumen ich machte viele Komplimente über die wunderschöne Landschaft, die sich zu unseren Füßen erstreckte. „Dir gefällt`s hier, hmm?“, stellte meine beste arabische Freundin voller Nationalstolz fest. Letzten Sonntag begleiteten wir nach einem Familienessen bei ihr zu Hause einige ihrer Verwandten zu einem israelischen Büro im Westjordanland südlich von Bethlehem. „Siehst du die Häuser mit den roten Dächern?“ – „Ja.“ Ich sah NUR rote Dächer, weit und breit nichts anderes. „Das sind israelische Siedlungen.“ Während sie sich über die Siedlungen in der Nähe von Hebron beklagte, dachte ich an den größten Schlüssel der Welt, der den Eingang zum „Aida“-Flüchtlingslager in Bethlehem markiert. Er steht symbolisch für alle Haustürschlüssel, die palästinensische Flüchtlinge mitgenommen haben – in der Hoffnung, bald zurückzukehren. Fast alle Schlüssel wurden umsonst eingepackt – die meisten Flüchtlinge werden sie nicht noch einmal gebrauchen können. Ich frage mich, nach wie vielen Jahren die Hoffnung aufgegeben wird und die Schlüssel im Müll landen. Da kann auch der größte Schlüssel der Welt keine Wunder wirken.

Auch meine Freundin war in Gedanken versunken – und fing an, von ihrer Vergangenheit zu erzählen. „Während der Zweiten Intifada (2000) wurde unser Haus eine Woche lang besetzt. Wir mussten uns alle in ein Zimmer zwängen, durften das Haus nicht verlassen, mussten fragen, wenn wir die Toilette benutzen wollten, hatten wenig zu essen – bis es die letzten drei Tage ganz ausging.“ Die Bitterkeit in ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. Drei Stunden später saßen wir wieder im Auto – der Bruder fuhr auf dem Rückweg aggressiver, kommentierte ärgerlich das Fahrverhalten anderer; seine Laune hatte um 180 Grad umgeschlagen. Was vor sich ging, ist folgendes: Christliche Palästinenser dürfen sich um eine Erlaubnis bewerben, um für Weihnachten und Ostern nach Israel reisen zu dürfen. Moslems dürfen es natürlich auch für ihre Feiertage versuchen, haben aber nur eine geringe Chance. Um sich bewerben zu können, muss zuerst eine Karte beantragt werden; dafür ist dieses israelische Büro zuständig. Manche bekommen die Erlaubnis, andere nicht – die Entscheidung liegt in israelischer Hand. Nun warteten wir also dort und warteten und warteten und warteten ... Mehr als 30 Familien warteten – die Männer versammelten sich vor dem Eingang zu dem kleinen Blockhaus, die Frauen versuchten, die quängelnden Kinder zu beruhigen, die Jugendlichen saßen auf den Motorhauben der Autos und aßen Nüsse. Ich war die einzige nicht-Araberin und erntete dafür einige schräge Blicke. Die Schwägerin meiner Freundin ging zu anderen Frauen und fing ein Gespräch an – sie erzählte uns später, dass manche schon seit sechs Uhr morgens da wären und sich über die ständigen Kaffeepausen der Israelis beschweren würden. Stampfend kam der Bruder zurück und setzte sich wortlos ins Auto. „Wir fahren. Das Büro ist geschlossen. Wir müssen nächste Woche wieder kommen.“ Es war vier Uhr nachmittags. Tamara, meine Arbeitskollegin und arabische Freundin, nennt es eine Machtdemonstration der Israelis. „Sie entscheiden, wer über die Feiertage rein darf und wer für diese Zeit daheim bleiben muss. Außerdem werden Moslems und Christen im Westjordanland durch diese Klassifizierungen nur noch mehr entzweit.“ Alle meine Freunde fiebern auf diese Zeit hin und hoffen so sehr, dass sie nach Israel dürfen – ein bisschen Freiheit schnuppern. Die beliebtesten Ausflugsziele sind das Mittelmeer und die Einkaufszentren – endlich westliche Kleidung für das restliche Jahr einkaufen! Wir können uns gar nicht vorstellen, wie es ist, auf 5.640 Quadratkilometern (im Vergleich: Österreich 83.900) eingesperrt zu leben oder eine limitierte Auswahl an Produkten und Freizeitmöglichkeiten zu haben. Mir wurde die Einschränkung erst bewusst, als alle schon vor einem Monat anfingen, mit leuchtenden Augen von möglichen Reisen nach Israel zu schwärmen. Da ich der Gesamtsituation nun Gesichter zuordnen kann, wird es immer schwieriger für mich, objektiv zu beobachten – so sehr ich mich auch bemühe. Somit hört ihr, liebe Leser und Leserinnen :) , von mir auch eher einseitige Berichterstattungen; wie die Medien sonst auch oft sind. Ich bekomme immer mehr Möglichkeiten zu reisen – und vieles liegt noch vor mir. Ich finde das wirklich toll. Sonntags war ich in Masada und erklomm die Bergfestung von Herodes – ein beeindruckendes Bauwerk mitten in der Wüste, wovon ich einen tollen Blick über das Tote Meer bis nach Jordanien hatte. Als ich zur Abfahrtsbushaltestelle in Jerusalem kam, war diese gesperrt. Bombenwarnung, erzählte mir eine Soldatin mit gleichgültigem Gesichtsausdruck. Was alles zur Normalität werden kann...

Chaos am Busbahnhof / Vier Freundinnen ^^ / Ausblick von Masada


Totes Meer und Jordanien!!!

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